Wissenschaftliche Erkenntnis im Kontext von Denkstil und Paradigma. Ludwik Fleck und Thomas S. Kuhn zur Entstehung wissenschaftlichen Wissens

Veranstalter:Zentrum für Wissenschaftstheorie der Westfälischen Wilhelms-Universität MünsterMax-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte, BerlinZentrum für Logik, Wissenschaftstheorie und Wissenschaftsgeschichte der Universität Rostock

Tagungsort: Senatssaal der Universität Münster, Schlossplatz 2, 48143 Münster

Termin: 21.07.-23.07.2008

Hier das Tagungsprogramm als pdf-Dokument.

Wohl nur wenige wissenschaftsgeschichtliche und wissenschaftstheoretische Werke haben einen solch weitreichenden Einfluss auf die wissenschaftliche Gemeinschaft ausgeübt wie Thomas S. Kuhns „The Structure of Scientific Revolutions“. Zentrale, von Kuhn geprägte Ausdrücke – wie etwa ‚wissenschaftliches Paradigma‘, ‚Normalwissenschaft‘ und ‚wissenschaftliche Revolution‘ – gehören heute längst zum Standardvokabular nicht nur wissenschaftstheoretisch einschlägiger Autoren. Generell lässt sich in den auf das Erscheinen des Buches folgenden Jahren kaum eine wissenschaftstheoretische oder allgemein erkenntnistheoretische Debatte finden, in der nicht in der einen oder anderen Weise auf die Thesen Kuhns Bezug genommen wird – verwiesen sei etwa auf die Diskussion der Frage nach dem Ausmaß von Inkommensurabilität, auf die Frage nach der Bedrohung durch den Relativismus, die Frage nach der Natur des wissenschaftlichen Fortschrittes, die Frage nach der Theoriebeladenheit der Beobachtung oder dem Einfluss der wissenschaftlichen Gemeinschaft auf die Entwicklung wissenschaftlichen Wissens.

Auch wenn Kuhn selbst in „The Structure of Scientific Revolutions“ kurz auf Ludwik Fleck hingewiesen hat und 1976 für die englische Übersetzung von Flecks Hauptwerk – „Entstehung und Entwicklung einer wissenschaftlichen Tatsache“ – ein Vorwort verfasste, in dem er sowohl die Bedeutung von Flecks Arbeit hervorhebt, aber auch auf Unterschiede zwischen seinem und Flecks Denken eingeht, sind die Thesen, die bereits einige Jahrzehnte vor der Veröffentlichung von Kuhns Überlegungen von Fleck zur Relevanz von Denkkollektiven und ihren Denkstilen aufgestellt wurden, bislang noch nicht so breit rezipiert worden.

Ziel der Tagung ist es daher, die Überlegungen Flecks und Kuhns näher zu beleuchten, sie aufeinander zu beziehen und voneinander abzugrenzen, sie sowohl vor ihrem jeweiligen historischen Hintergrund zu verstehen, als auch ihre systematische Bedeutung für heutige Debatten einzufangen.

Die mehrtägige Veranstaltung wird unter internationaler Beteiligung stattfinden (Konferenzsprache: Englisch). Neben drei Abendvorträgen sollen an den Veranstaltungstagen mehrere Workshops angeboten werden, in denen verschiedene Aspekte der Thematik vertieft werden. Beispielhaft sollen folgende Themenstellungen näher betrachtet werden:

- die Beziehungen von Fleck und Kuhn zur Philosophie des Logischen Empirismus,

- die systematischen Ähnlichkeiten und Unterschiede der Thesen Flecks und Kuhns im Vergleich zur Philosophie Paul Feyerabends oder Willard Van Orman Quines,

- die Frage nach der Bedeutung von Lehrbüchern und der sozialen Gemeinschaft für die Anerkennung wissenschaftlicher Tatsachen anhand von Fallbeispielen aus den Naturwissenschaften, der Medizin oder Biologie

- die Frage nach der Kontinuität oder Diskontinuität der Entwicklung von Wissenssystemen.

 

Vortragende

Howard Sankey (University of Melbourne): “Semantic Incommensurability and Scientific Realism”

Alexander Bird (University of Bristol): "Fleck and Kuhn: the Psychology of Thought-Styles, Paradigms, and Incommensurability"

Michael Friedman (University of Stanford): “Ernst Cassirer and Thomas Kuhn: The Neo-Kantian Tradition in History and Philosophy of Science”

Jürgen Renn (MPI for History of Science Berlin): "Moritz Schlick and Ludwik Fleck: Overcoming the Neo-Kantian Tradition in History and Philosophy of Science"

Johannes Fehr (University of Zürich/Collegium Helveticum): “Passages from one thought style to another. Knowledge production according to Fleck”

Thomas Uebel (University of Manchester): “Fleck (and selected contemporaries) and the notions of thought style and thought collective”

Peter Reinartz: "Thomas Kuhn and Ludwik Fleck - some aspects of their special relationship; including an excursion into Fleck and the Vienna Circle"

Markus Seidel (University of Münster): "Relativism or Relationism? A Mannheimian interpretation of some Fleckian claims"

Olaf Engler (University of Rostock, Moritz-Schlick-Forschungsstelle/MPI for History of Science Berlin) / Niko Strobach (University of Saarbrücken): “Dead Bodies, hot chillies and conscious brains - a Fleckian lesson in Scienteze”

Raja Rosenhagen (University of Rostock, Moritz-Schlick-Forschungsstelle): "How to Model Scientific Progress - Some (B)randomized Reflections on Scientific Revolutions, Thought Styles and Mental Models"

Christian Suhm (University of Münster, Center for Philosophy of Science): "Constructivism reconstructed – Fleck and Kuhn on shaping reality"

Nicola Mößner (University of Münster, Center for Philosophy of Science): "Thought Styles and Paradigms – a Comparative Study on Ludwik Fleck and Thomas S. Kuhn"