Sommersemester 2008

Veranstaltung zum Jahr der Mathematik 2008

Prof. Dr. Hans-Dieter Sill (Institut für Mathematik, Universität Rostock)

Wahrscheinlichkeit und Zufall - neue Sichten auf alte Probleme

26. Juni 2008, 19:30 Uhr

 

Prof. Dr. Werner Ebeling und PD Dr. Heinrich Parthey (Humboldt-Universität zu Berlin)

Die Verbindung von Naturwissenschaft und Philosophie an der Universität Rostock in den sechziger Jahren des 20. Jahrhundert

Moderation: Prof. Dr. Dieter Hoffmann (Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte Berlin)

19. Juni 2008, 19:30 Uhr

Prof. Dr. Werner Ebeling

Nach 1955 gab es an der Universität Rostock ein starkes Interesse an philosophisch-erkenntnistheoretischen und historischen Fragen der Naturwissenschaft, das durch den Philosophen Heinrich Vogel (1932-1977) beeinflusst und gefördert wurde. Das besonders bei Physik-Studenten ausgeprägte Interesse an solchen übergreifenden führte dazu, das 1956 ein studentischer Arbeitskreis "Philosophische Probleme der Physik" gegründet wurde. Eine Reihe von Physikstudenten darunter Hermann Birr, Mebus Gey, Bruno Harms, Martin Heinrich, Hans Schuldt u.a. sowie der Autor dieser Zeilen trafen sich etwa einmal wöchentlich, um über Probleme der Physik, wie Kausalität und Quantenmechanik, Probleme der relativistischen Physik, Physik und Religion u.a. zu diskutieren. Als Literatur wurden besonders die Schriften von Planck, Heisenberg, Klaus, Ludwig, Polikarov, Schlick u.a. genutzt. An den Diskussionsrunden nahm relativ häufig Dr. Heinrich Vogel teil, der auch im Grundstudium über Marxistische Philosophie las und ein aufgeschlossener Ansprechpartner für die Physikstudenten wurde.

Von physikalisch-fachlicher Seite wurde der Arbeitskreis besonders von Dipl. Phys. Heinz Ulbricht, Dr. Ernst Schmutzer und anderen unterstützt.

Eine besondere Rolle spielte die Diskussion des Materiebegriffs von Heinrich Vogel, der seinerzeit von führenden DDR-Philosophen wegen seines Materiebegriffs kritisiert wurde, der im Arbeitskreis jedoch Unterstützung fand.

In den 60er Jahren wurde die Arbeit zunächst in lockerer Form fortgesetzt. Nach der Berufung von Dr. Heinrich Parthey nach Rostock kam es zur Gründung eines (auch von der Universitätsleitung offiziell bestätigten) Arbeitskreises "Philosophie und Naturwissenschaften" der Universität Rostock. Von Seiten der Physik beteiligten sich besonders die damaligen Assistenten Dr. Dietrich Kremp, Dr. Heinz Ulbricht und der Autor. Im Mittelpunkt der Diskussion standen die Themen: Reversibilität und Irreversibilität, Strukturbildung und Selbstorganisation, und Methodologie des Forschungsprozesses. Hinzu kam die Beschäftigung mit der Biographie und den Ansichten von Joachim Jungius, Moritz Schlick, Max Born, Max Planck und anderen Wissenschaftlerpersönlichkeiten.

Wichtigste Resultate der Arbeit waren eine gemeinsame Publikation zum Problem der Irreversibiltät und die Ausrichtung verschiedener Tagungen samt Tagungsbänden, darunter auch 1969 zum 550jährigen Jubiläum der Universität Rostock die Jungius-Schlick-Tagung.

Seit den 70er Jahren leitete sich aus der historischen Arbeitsrichtung eine eigene (zwanglose) Arbeitsgemeinschaft Geschichte der Physik ab, die besonders von Günther Kelbg, Reinhart Mahnke und Peter Jakubowski getragen wurde.

Aus der Richtung Strukturbildung und Selbstorganisation resultierten verschiedene Bücher.

In den 70er Jahren wurde neben den Rostocker Philosophischen Manuskripten auch eine Publikationsreihe Rostocker Physikalische Manuskripte initiiert, in der mehrere philosophisch-historische Arbeiten abgedruckt wurden. Im ersten Band "Physik-Gesellschaftswissenschaften" erschienen verschiedene (nach damaligen Maßstäben) unkonventionelle Beiträge zur Modellierung gesellschaftlicher Prozesse mit Mitteln der Physik. Der zweite Band der Reihe mit dem Titel "Stochastische Theorie der nichtlinearen irreversiblen Prozesse" wurde eingeleitet von einem Beitrag des damaligen Institutsdirektors Prof. Günter Kelbg, gemeinsam mit dem Forschungsstudenten Peter Jakubowski zum Thema "100 Jahre statistische Entropie". Der dritte (Doppel-)Band war wieder dem Thema "Physik und Gesellschaftswissenschaften" gewidmet und enthielt die Beiträge einer gleichnamigen Tagung mit einer Reihe von Artikeln zu philosophischen und historischen Fragen. Band 4 enthielt unter anderen wieder einen historischen Beitrag von Günther Kelbg zum Thema "Wilhelm Ostwalds Beitrag zur Elektrolytforschung". 

Die Rostocker Initiativen waren eine Besonderheit der Universität Rostock im Rahmen der DDR. Sie wurden durch vorurteilsfreie und seinerzeit einflussreiche Persönlichkeiten wie Prof. Hans Falkenhagen, Prof. Günther Kelbg und später Prof. Heinz Ulbricht ermöglicht und gefördert.


PD Dr. Heinrich Parthey

Die Universität Rostock gehört wohl zu den wenigen deutschen Universitäten, die in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts über eine explizit philosophisch genannte Schriftenreihe in ihrem Universitätsverlag verfügte, in der philosophisch intendierte Arbeiten von Vertretern verschiedener Wissenschaftsdisziplinen publiziert worden sind. Ende des 20. Jahrhunderts finden sich auch erste Reminiszenzen zu den Anfängen der Rostocker Methodologie-Forschung in den 1960er Jahren und zu Beginn des 21. Jahrhunderts erste Einordnungen dieser Forschungen in die Geschichte der Philosophie in der Deutschen Demokratischen Republik, in der es unter anderen heißt: „Eine Schlüsselrolle in der Ausarbeitung der Grundlagen einer allgemeinen Forschungsmethodologie (Methodentheorie) spielte ab Mitte der 60er Jahre der Rostocker Arbeitskreis ‚Philosophische Probleme der Naturwissenschaften und technischen Wissenschaften’ am Institut für Marxismus-Leninismus der dortigen Universität. [...] Im März 1965 veranstaltete der Rostocker Arbeitskreis eine Tagung über ‚Struktur und Funktion der experimentellen Methode’. [...] Damit aber die unterschiedlichen Methoden und Methodentypen nicht beziehungslos nebeneinander standen, mussten sie auf ein einheitliches Konzept des Forschungsprozesses bezogen werden, als dessen immanent steuernde Komponente sie fungieren. Die Rostocker Gruppe entschied sich dafür, zu diesem Zweck den Forschungsprozess als problemlösendes Vorgehen zu konzeptualisieren. Dabei war die Tagung ‚Problemstruktur und Problemverhalten in der wissenschaftlichen Forschung’ im September 1966 von maßgebender Bedeutung.“

Eine wesentliche Voraussetzung der für die Problem- und Methodentheorie der Wissenschaft so ertragreichen Entwicklung der „Rostocker philosophische Manuskripte“ war in den 1960er Jahren die von den Dekanen sowohl der Mathematisch-naturwissenschaftlichen und als auch der Technischen Fakultät der Universität Rostock an Hochschullehrer der Philosophie dieser Universität ausgesprochene Einladung, die an Heinrich Vogel (1932-1977) vom Dekan der Mathematisch-naturwissenschaftlichen und an Heinrich Parthey (1936 geb.) vom Dekan der Technischen Fakultät gerichtet war, an einer gemeinsamen Durchführung des Rigorosum zur Promotion persönlich teilzunehmen. Konsequenterweise wurden in Vorbereitung auf dieses Rigorosum an beiden Fakultäten von nun an Doktorantenseminare zu philosophischen Problemen der natur- und technikwissenschaftlichen Forschung veranstaltet. Eine Vielzahl aktiver Teilnehmer an genannten Doktorantenseminaren haben ihre philosophisch orientierten Arbeiten in den „Rostocker philosophische Manuskripten“ publiziert. Dazu formuliert Heinrich Vogel im Jahre 1973 in seinem Vorwort zum 4. Heft zur Problemtheorie: „Wie schon in früheren Heften zur Problemtheorie angedeutet, haben wir vor Jahren begonnen, theoretische Grundlagen aus philosophischer Sicht zur Problemtheorie zu erarbeiten, in wissenschaftlichen Kolloquien gründlich zu diskutieren – vor allem auch gemeinsam mit Einzelwissenschaftlern, insbesondere Naturwissenschaftlern – und zu publizieren. Die Resonanz war größer als erwartet. Heft 3 war schnell völlig vergriffen. Viele Einzelwissenschaftler interessierte die Tragfähigkeit, Anwendbarkeit bzw. Nutzung in seiner Disziplin oder Tätigkeit.“

Eine weitere Voraussetzung für die Entwicklung der „Rostocker philosophische Manuskripte“ war der in Vorbereitung und Durchführung der Tagung „Joachim Jungius und Moritz Schlick. Zur Funktion der Philosophie bei der Grundlegung und Entwicklung naturwissenschaftlicher Forschung“ anlässlich des 550jährigen Jubiläums der Universität Rostock im Jahre 1969 vom Rektor gegründete Arbeitskreis „Philosophie und Naturwissenschaften“ der Universität Rostock. Die Beiträge der ersten Tagung des Arbeitskreises „Philosophie und Naturwissenschaften“ der Universität Rostock, die am 3. und 4. Juli 1969 anlässlich des 550jährigen Jubiläums der Universität Rostock stattgefunden hatte, wurden im Heft 8 der „Rostocker philosophischen Manuskripte“ publiziert. Der international zusammengesetzte Kreis von Tagungsteilnehmern, darunter auch Barbara van den Velde-Schlick, die Tochter von Moritz Schlick, und Walther Hollitscher, einem Schüler von Moritz Schlick, wurden von Werner Ebeling (1936 geb.) als Vorsitzenden des Arbeitskreises „Philosophie und Naturwissenschaften“ der Universität Rostock, einem Hochschullehrer der Physik dieser Universität, begrüßt.

Literatur:

H. Vogel: Über die Materie und ihre Eigenschaften, Dt. Z. f. Philosophie, Jahrgang 8 (1960?), Heft 1/2, 144-159.
W. Ebeling, D. Kremp, H. Parthey, H. Ulbricht: "Reversibilität und Irreversibilität als physikalisches Problem in philosophischer Sicht“, Wiss. Z. Univ. Rostock, Gew. Reihe 19 (1970) 127.
W. Ebeling: Strukturbildung bei irreversiblen Prozessen, Teubner-Verlag, Leipzig 1976.
H. Ulbricht: Heinrich Vogel - Ein physikalisch engagierter Philosoph, Rostocker Philosophische Manuskripte, 24/2 (1983) 9-24.
Wittich, D., Reminiszenzen zu den Anfängen der Rostocker Methodologie-Forschung in den 1960er Jahren. – In: Interdisziplinarität – Herausforderung an die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Festschrift zum 60. Geburtstag von Heinrich Parthey. Hrsg. v. Walther Umstätter und Karl-Friedrich Wessel. Bielefeld: Kleine Verlag 1999. S. 191 – 201.
Laitko, H., Produktivkraft Wissenschaft, wissenschaftlich-technische Revolution und wissenschaftliches Erkennen. Diskurse im Vorfeld der Wissenschaftswissenschaft. – In: Denkversuche. DDR-Philosophie in den 60er Jahren. Hrsg. v. Hans-Christoph Rauh u. Peter Ruben. Berlin: Ch. Links Verlag 2005. S. 459 – 540.
Heinrich Vogel (Hrsg.): Problemtheorie in Schulpraxis und Meeresforschung. 4. Heft zur Problemtheorie. Beiträge von Kolloquien des Arbeitskreises „Philosophie und Naturwissenschaften“ der Universität Rostock. Rostock: Universität Rostock 1973 (Rostocker philosophische Manuskripte, Heft 11). S. 5.
Joachim Jungius und Moritz Schlick. Zur Funktion der Philosophie bei der Grundlegung und Entwicklung naturwissenschaftlicher Forschung. Rostock: Universität Rostock 1970 (Rostocker philosophische Manuskripte, Heft 8, Teil 1 und 2) 88 und 112 Seiten.
Hollitscher, W., Zum Gedenken an meinen Lehrer. – In: Hollitscher, W., Für und Wider die Menschlichkeit. Frankfurt am Main: Verlag Marxistische Blätter 1977. S. 197 – 201.

 

Dr. Christa Runtenberg (Philosophisches Seminar, Westfälische Wilhelms-Universität Münster) und Dr. Andris Breitling (Institut für Philosophie, Universität Rostock)

Michel Foucault: Wissenskritik als Archäologie und Genealogie

22. Mai 2008, 19:30 Uhr

Michel Foucault (1926-1984) ist einer der faszinierendsten Denker aus dem Feld der sogenannten Postmoderne bzw. des Poststrukturalismus. Berühmt-berüchtigt für seine in den 1960er Jahren aufgestellte These vom "Verschwinden des Menschen", entwickelt Foucault in seinen letzten Schriften und Vorlesungen eine Ethik und Ästhetik der Existenz, die unter dem Titel der "Lebenskunst" derzeit viel diskutiert wird. Dabei enthalten seine kritischen Analysen historisch-kultureller Diskurs-, Macht- und Wissensordnungen Anregungen und Herausforderungen nicht nur für Philosophen, sondern ebenso für Historiker, Wissenschaftshistoriker und andere Kulturwissenschaftler. Wer sich nicht nur für die epistemologischen, sondern auch für die kulturellen, institutionellen und gesellschaftlichen Bedingungen der Produktion wissenschaftlichen Wissens interessiert, kommt um eine Auseinandersetzung mit Foucault ebensowenig herum wie jede/r, der/die der Genese des modernen Subjekts auf die Spur zu kommen versucht. Beim Kamingespräch soll es nach einer Einführung zu Werken und Werdegang Michel Foucaults zunächst um die in Die Ordnung der Dinge (Les mots et les choses, 1966) entwickelte "Archäologie" der Humanwissenschaften gehen. Im Blick auf die in Archäologie des Wissens (1969), Die Ordnung des Diskurses (1971) und Aufsätzen wie "Was ist Aufklärung?" erörterten methodologischen Fragen soll dann über Foucaults Ansatz einer Geschichte und Kritik des Wissens diskutiert werden, den er unter die Titel "Archäologie" und "Genealogie" stellt.

Lektürehinweise:

Michel Foucault, Die Ordnung des Diskurses, Frankfurt a. M. 1991 (L'ordre du discours, Paris 1971). Ders., "Was ist Aufklärung?", in: Eva Erdmann/Rainer Forst/Axel Honneth (Hrsg.), Ethos der Moderne. Foucaults Kritik der Aufklärung, Frankfurt a. M. 1990, S. 35-54 (Erstveröffentlichung auf Englisch in: Paul Rabinow [Hrsg.], The Foucault Reader, New York 1984).

 

Veranstaltung zum Jahr der Mathematik 2008

Prof. Dr. Rainer Schimming (Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald)

Die unglaubliche Effektivität der Mathematik in den Naturwissenschaften

8. Mai 2008, 19:30 Uhr

 

Prof. Dr. Hans-Uwe Lammel (Arbeitsbereich Geschichte der Medizin, Universität Rostock)

Goethe, der Schwindel und die wildgewordene Vernunft der Aufklärung. Romantische Medizin und medizinische Romantik in Deutschland

3. April 2008, 19:30 Uhr

In welcher Weise es gerechtfertigt ist, den Übergang von der Aufklärung zur Romantik in Deutschland um 1800 als einen dialektischen Prozeß von Kontinuität und Wandel zu sehen, ist das Problem, mit dem sich der Vortrag auseinandersetzen will. Mit dem Fokus auf die Medizin sollen zwei Perspektiven diskutiert werden: der epistemologische Status des Schwindels (vertigo) in philosophischer und physiologischer Hinsicht; die literarischen und wissenschaftlichen Unternehmungen des Arztes, Poeten und Schriftstellers Stephan August Winkelmann (1780-1806). Hatte er sich als Student in Jena und Göttingen dem literarischen Kreis, der frühromantischen Bewegung, angeschlossen und in engem Kontakt zu Clemens Brentano, Carl Friedrich von Savigny, Bettina Brentano, Caroline von Günderode und Achim von Arnim gestanden, entschließt er sich schließlich für die ärztliche Arbeit und gegen eine Karriere als schöngeistiger Autor. Als Arzt ist er beschäftigt mit der Funktion von Gehirn und Nerven und dem Phänomen des Schwindels, als medizinischer Schriftsteller bevorzugt er die private Praxis. Winkelmanns das erste Mal von Ricarda Huch am Beginn des 20. Jahrhunderts als romantische Ärzte beschriebene Generation von Medizinern und Naturforschern wurde in den 1920er Jahren Teil einer Forschungsdiskussion am Karl-Sudhoff-Institut für Geschichte der Naturwissenschaften und der Medizin in Leipzig unter dem Direktor Henry Ernest Sigerist. Dort prägte Ernst Hirschfeld den Begriff „Romantische Medizin“, der 1997 von Ugo D’Orazio einer erneuten Bewertung unterzogen worden ist. Der Vortrag wird versuchen, eine unabgeschlossene Diskussion wiederzubeleben.